GERDA KRUIMER ⎪ ABOUT

Offenheit mit System by Dr. Teresa Ende, published in Dresdner Neueste Nachrichten, oktober 2020

OFFENHEIT MIT SYSTEM
Contemporary Contemplations” vereint 22 internationale Positionen konkrete Kunst

Von Teresa Ende

Jede zeitgenössische – und zeitgemäße – Betrachtung von Kunst der Gegenwart muss sich zugleich mit jener der Vergangenheit auseinandersetzen, um das Jetzt tatsächlich zu verorten und verständlich zu machen. Wenn dabei strikt vom Werk ausgegangen und keine simplifizierende Entwicklungslinie, ein Zeitstrahl oder ähnliches angestrebt wird, kann aus der vergleichenden punktuellen Betrachtung großer Erkenntnisgewinn und ein immenses ästhetisches Vergnügen erwachsen, besonders wenn die unterschiedlichen Positionen so gut präsentiert sind wie in der aktuellen Ausstellung in der Galerie Ursula Walter.

Der Großteil der Exponate stammt aus den letzten fünf Jahren
Dort wind mit “Contemporary Contemplations” derzeit ein vergleichender Querschnitts- und Längsblick zugleich gewagt. Die von den Künstlern Gerda Kruimer und René Eicke konzipierte und kuratierte Gruppenausstellung zeigt Arbeiten von 22 Künstlerinnen und Künstlern, die in Deutschland oder in den Niederlanden tätig sind, und reicht von Handzeichnungen, Linolschnitten und Tafelgemälden über Papierarbeiten und Objekte bis hin zu Installationen und raumhohen Wandmalereien.

Die Exponate stammen sowohl von Lokalmatadoren wie Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht, die jeweils mit einer Arbeit aus der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre vertreten sind (der ebenso bedeutende wie restaurierungsbedürftige Brunnen Krachts von 1979 auf dem Neustädter Markt vis-à-vis der Galerie ist ebenfalls Teil der Ausstellung), als auch von etablierten wie ganz jungen aufstrebenden Künstlern. Der Großteil der Exponate stammt aus den letzten fünf Jahren und wurde von bekannten niederländischen Konkreten geschaffen, wie Cees Andriessen und Ditty Ketting, von internationalen Künstlerinnen, die zumeist in Berlin ansässig sind, wie Isabelle Borges, oder aber von jüngeren Künstlerinnen wie Annekatrin Lemke und Stefan Lenke, die beide mit überzeugenden Arbeiten vertreten sind.

Was diese, ganz unterschiedlich gearteten, aus unterschiedlichen Generationen und Kontexten stammenden Positionen mit einander verbindet, ist neben der überwiegend hohen Qualität der gezeigten Arbeiten das Interesse an den elementarsten – ganz “konkreten”, daher der Name der Kunstrichtung – Ausdrucks- und Gestaltungsmitteln. Die meisten Beteiligten konzentrieren sich auf Grundlegendes: Linie, Farbe, Form oder Material werden hier nicht zur illusionistischen, vagen, kritischen oder sonst- wie gearteten Nachahmung des äußerlich Sichtbaren verwendet, sondern für das was sie sind, erkundet, ja seziert.

Erneuerung von Architektur, Malerei, Plastik, Typologie und Dichtung
Dabei werden die rationalen Gestaltungsprinzipien nicht verschliffen, sondern bewusst transparent gemacht und vor den Augen de Betrachtenden ausgebreitet. Den Arbeiten liegen offenen Systeme zugrunde, könnte man sagen, als würde man eine mathematische Gleichung betrachten, deren Klarheit, Logik und Stringent zugleich eine ästhetisch-poetische Dimension eröffent.

Dabei ist der Blick den Nordwesten besonders sinnfällig, schließlich war es der niederländische Künstler Theo van doesburg, der 1924 erstmals den Begriff Konkrete Kunst prägte. Zusammen mit Piet Mondrian, Georges Vantangerloo und anderen hatte er 1917 die Künstlervereinigung “De Stijl” (holländisch für “Der Stil”) gegründet. Unter Einsatz universeler Mittel strebten sie nichts weniger als die Erneuerung von Architektur, Malerei, Plastik, Typologie und Dichtung an, auf der Suche nach adäquaten Ausdrucksformen für das moderne, wie sie fanden von Natur und Individuum entkoppelte Leben. Was in den Gemälden eines Mondrian bereits voll entwickelt war, ließ sich in den übrigen Bereichen freilich weniger gut umsetzen, so dass die Protagonisten bald unterschiedlicher Wege gingen und bei den Elementaristen, Dadaisten, Konstruktivisten oder am Bauhaus ihre Visionen weiterführten.

Die Konkrete Kunst ist also Längst historisch geworden; ihre Form und Inhalte aber – also die Frage danach, ob das Kunstwerk in dem, wie und woraus es gemacht ist, ernst zu nehmen oder zuvörderst als Sinnestäuschung zu verstehen sei, die auf ein Außerhalb verweist – diese Fragen sind heute so aktuell wie in den 1910er- und 20er-Jahren. Zusätzlich eröffnet die Zusammenschau von Positionen aus Deutschland und den Niederlanden, von älteren Beiträgen aus der marginalisierten Kunstszene der Konkreten in der DDR sowie jüngeren und ganz jungen, von Grenzziehungen und staatlichen Eingriffen unbelasteten Positionen neue Sinnfelder und schneidet die noch nicht hinlänglich aufgearbeitete Entwicklung der Konkreten Kunst in Ost und West zumindest mit an.

Dabei führt die Ausstellung die enorme stilistische und gestälterische Vielfalt Konkreter Kunst – damals wie heute – vor. Während Adler mit einem Tafelbild vertreten ist, das ob seiner sinnlichen Farbverläufe und -kontraste und eben nicht durch die Strenge der klaren Gestaltungsprinzipien überrascht, sehen wir von Kracht ein frei kombinierbares, “Offenes System B” betiteltes Lochblechbild, dessen knallige Farben und strukturierte Oberfläche an Textilien denken lässt und deren Prinzipien zugleich verfremdet. Uberhaupt sind in den gezeigten Arbeiten immer mehrere Sicht- und Lesarten angelegt: Gerda Kruimers “3D Soft Grids” aus feinen, farbig gefassten Papierstreifen formen Gitternetzgebilde, die an Luftkissen oder tecnoide Wolken erinnern, wirken stabil und dabei so zerbrechlich, dass sie immer schon fast der Vergangenheit anzugehören scheinen. Annekatrin Lemkes Email-Stahlhbilder changieren wie feinste Lackarbeiten, ändern ihr Aussehen mit jeder kleinen Bewegung  des Publikums. Und Patricia Westerholz’ in die Tiefe wachsender Papier-Cut Out “Constant State of Flux” trägt die programmatische Veränderlichkeit der Wahrnehmung sogar im Titel, Linie, Farbe, Form und Struktur, sie bedeuten in den versammelten Werken nichts als sich selbst und weisen doch permanent über sich hinaus.

bis 31. Oktober, Neustädter Markt 10 (am Goldenen Reiter), Do & Fr 15 bis 18, Sa 12 bis 16 Uhr sowie nach Vereinbarung. Ebenfalls Teil der Dutch Contemporary Serie ist die Installation “Kostbar” von Judy van Luyk an der Sankt Petersburger Straße gegenüber des Hauptbahnhofs (DDN berichteten).

www.galerieursulawalter.de

Contemporary Contemplations #6 mit Arbeiten von Karl-Heinz Adler (1), Yumiko Yoneda (Weßes Objekt), Patricia Westerholz und Isabelle Borges (Wandarbeit)

 

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